Im folgenden ungekürzt und unbearbeitet (nur ohne Bilder) mein offizieller erster Projektbericht, wie er auch bei ASF und meinen Paten auf dem Schreibtisch liegt.
14.07.2018
2. Projektbericht von:
Jan-Niklas Kemper
Strasse und Hausnummer
49082 Osnabrück
DOROT
DOROT HPP
Strasse und Hausnummer
New York, NY, USA 10024
Natürlich ist viel passiert, seit meinem ersten Projektbericht. Viel mehr, als ich in diesem Text beschreiben könnte. Zu Beginn des Dienstes und auch noch um die Verfassung des ersten Berichtes herum war man noch neu in vielen Dingen, hat einiges zum ersten Mal gemacht, war mit einigen Situationen und Gegebenheiten noch nicht vertraut und nun steht man einigen Dingen schon wehmütig gegenüber, weil man sie wohl zeitnah vermissen wird. Man ist nun Teil des Projektes, Teil der Stadt und irgendwo auch Teil des Landes geworden. Um so schwieriger wird der baldige Abschied wohl fallen. In nichtmal acht Wochen endet unser Friedensdienst, wir haben ausgedient. Stolz werde ich zu Hause erzählen, was ich erlebt habe, was mir begegnet ist und das es mich mein Leben lang prägen wird.
Highlight
Es gab nicht dieses eine Highlight. Das Highlight ist die ein-jährige Erfahrung. Ein Highlight in meinem Leben. Dieses Jahr wird immer herausstechen. Ich kann nicht sagen, was in diesem Jahr selber heraus gestochen ist. Vielleicht mit meinem Klienten die Fussballweltmeisterschaft gucken. Vielleicht aber viel eher, dass dieser 96-Jährige Holocaustüberlebende aus Freiburg mittlerweile nicht mehr nur ein Klient ist, sondern ein Freund, zu dem ich eine ähnlich enge Bindung habe, wie zu meinen eigenen Großeltern. Das ist das wahre Geschenk und das echte Highlight, hinter dem Fussball gucken. Sich einen Tag und eine Situation raus zu suchen und als das eine Highlight zu beschreiben, würde jedem anderen Tag nicht gerecht werden. Ich erinnere mich an einen Tag im Mai, als ich die Aufgabe hatte, zu kochen. An dem Abend haben wir um 25 Klienten erwartet plus meine Eltern und meinen Host. Anfang der Woche hatten wir Zutaten bestellt – Lachs, Kartoffeln, Brokkoli und Champignons. An jenem Donnerstag rief jedoch der Zulieferer an, der wöchentlich kommt und Lebensmittel bringt, dass er es nicht schaffen würde und erst den darauf folgenden Tag kommen könnte. Damit war ich der Situation ausgeliefert. Die Kühlschränke waren leer, unser Budget fast aufgebraucht und ich erwartete knapp 30 Leute, die mehrfach auf ein gutes Abendessen vorbereitet wurden. In meiner Verzweiflung ging ich also mit meiner Mitarbeiterin in einen nahe gelegenen Supermarkt und wir versuchten, das letzte bisschen aus unserem Budget auszuschöpfen. Mit Erfolg. Anschließend hatten wir genug Zutaten. Später am Abend haben mir sehr viele Menschen zu meinem leckeren Essen gratuliert und mir von Herzen gedankt. Dafür stand ich sechs Stunden in der Küche und habe dein ganzen Tag nichts anderes gemacht. Am Morgen hatte es noch nach einem Desaster ausgesehen, auf das ich keinen Einfluss gehabt hätte, doch irgendwie haben wir das Ruder rum reissen können und mit viel Engagement und Leidenschaft konnten wir den Abend nicht nur retten, sondern die Erwartung meiner Klienten und Vorgesetzten übertreffen. Da bin ich sehr stolz drauf. Das ist die erste Geschichte, die mir zum Thema Highlight einfällt. Viele weitere kommen mir in den Kopf, sobald ich anfange, intensiver darüber nachzudenken. Ich war an so vielen Orten zwischen Miami und San Francisco als auch zwischen Las Vegas und Boston, ich habe viele tolle Leute kennenlernen dürfen und erst vor zwei Tagen saß ich in einer kleinen Gruppe und haben mit drei Überlebenden über ihre Erfahrungen im Konzentrationslager gesprochen. Das erste Highlight war schon im März, als ich die Zusage für dieses Jahr bekommen habe, wir waren in Auschwitz, haben in Hirschluch eine unvergessliche Zeit gehabt, waren in Miami, hatten die Seminare in Philadelphia und Washington, waren in den Nationalparks und an so vielen anderen Orten, haben so viel gelernt über Zwischenmenschliches, Geschichte, Politik. Es gibt glaube ich keinen Bereich, in dem ich nicht schlauer bin, als vor einem Jahr. Es sind die Erfahrungen, die dieses Jahr ausmachen und diesen Dienst zum Highlight machen.
Erwartungen
Ich hatte wohl nie viele Erwartungen, weil ich nie wirklich wusste, worauf ich mich eingelassen hatte. Für mich war nur klar, dass ich nach New York gehe, in ein Projekt, von dem ich keine Vorstellung hatte. Obwohl es für mich schwer war, alles Vertraute hinter mir zu lassen, dachte ich, es werde wohl das beste Jahr meines Lebens. Die wohl aufregendste Zeit, die ich je haben werde. Diese Einstellung hat sich auf jeden Fall geändert. Es war nicht das beste Jahr meines Lebens, dafür hatte es viel zu viele Tiefen, aber genau diese Tiefen haben es zu einem anderen Superlativ gemacht: Das lehrreichste Jahr meines Lebens. Ich habe bis heute nicht viele Freunde in New York gefunden und mittlerweile habe ich mich damit abgefunden, dass ich nicht jedes Wochenende auf irgendwelchen Collegepartys rumtanze. Dafür denke ich darüber nach, mich vegan zu ernähren und unterstütze Projekte, die Plastikmüll aus den Meeren fischen. Wahrscheinlich beides Themengebiete, die mich vorher niemals interessiert hätten. Es war nie das Leben, das man aus denen Filmen kennt: Mit den coolen Kids rumhängen und feiern gehen, Lagerfeuer am Strand und jedes Wochenende zum Barbecue im Garten eingeladen werden. Nichts davon. Dazu ist man als Freiwilliger in New York zu isoliert und kommt nicht genug mit Menschen in seinem Alter in Kontakt. Aber alle Berührungsängste sind verschwunden, ich spreche auf einmal fließend und ohne Einschränkungen englisch und ich weiss heute viel eher wer ich bin und wer ich sein will. All das sind Prozesse, über die ich vorher nie wirklich nachgedacht habe und heute auch nicht mehr nachdenken brauche, weil es sich so sehr in meinen Alltag etabliert hat.
Was mich am Anfang sehr umgehauen hat, war das Level der Wegwerfgesellschaft. In meinem Projekt benutzen wir ausschließlich Plastik-Besteck und Pappteller, was mich am Anfang sehr gechallenged hat. Irgendwann hatte man sich dran gewöhnt, doch mittlerweile versuche ich wieder mehr und mehr das Wegwerfen von Einmal-Besteck so gering zu halten, wie möglich. Das ist etwas, das ich versuche nachhaltig hier zu ändern, aber dafür ist die Mentalität hier einfach zu gegenläufig. Vielleicht kann mein Nachfolger da ja weiter dran arbeiten.
Ich für meinen Teil würde alles wieder genauso machen. Ich bereue nicht eine Entscheidung von der Bewerbung bis heute. Natürlich hätte ich gerne mehr social life gehabt, aber da hätte ich mich früher drum engagieren müssen und da war mir zu der Zeit einfach nicht nach, das habe ich vielleicht ein wenig verpasst. Aber ich würde mich wieder für Amerika bewerben, würde wieder mit zerrissenen Hosen zum Auswahlseminar kommen und mich so wenig verstellen wie möglich. Ich würde einfach ich sein, weil ich das am Besten kann und mich das bisher am weitesten gebracht hat. Bis nach New York, wo ich auch immer wieder hingehen würde.
Dimensionen des Freiwilligendienstes
Nicht nur bin ich generell kritischer geworden, ich bin vor allem gegenüber Deutschland sehr viel kritischer geworden. Gerade hier in Amerika spricht man von Deutschland immer nur in den höchsten Tönen, beneidet uns um unsere Kanzlerin und ist Deutschland gegenüber unfassbar positiv eingestellt. So positiv, dass ich schon des Öfteren mal die Euphorie des einen oder anderen Klienten oder Mitarbeiter einfangen musste.
Ich glaube gerade aktuell ist Deutschland sehr weit weg von perfekt. Ich glaube wir haben ein großes Problem im öffentlichen Umgang mit Migration und auch heute werden Juden und andere Minderheiten in Deutschland offensichtlich diskriminiert und benachteiligt. Was ich hier vor allem aus Deutschland mitkriege, ist der Hass auf andere Menschen. Das ist ein Fakt, mit dem ich mich sehr schwer tue und der mich auch vor meiner Rückreise zunehmend besorgt. Ich bin hier, um zu zeigen, dass wir in Deutschland etwas falsch gemacht haben und das wir dafür sorgen, das es nie wieder dazu kommt. Weil wir die Verantwortung dafür tragen, dass es nie wieder soweit kommen, doch gleichzeitig wollen in Deutschland Menschen das Abschieben von Bedürftigen oder wollen die Flüchtlinge lieber gleich im Mittelmeer ertrinken lassen. Gerade von hier lässt sich einfach nicht nachvollziehen, wie es Menschen so an Zivilcourage mangelt, während ich hier jeden Tag mit Menschen arbeite, die entweder auch bedürftig sind oder es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, Bedürftigen zu helfen. Dagegen finde ich das nationalistische Denken doch sehr abstossend.
Zudem ist mir hier auch erst bewusst geworden, wie gravierend die Nazi-Verbrechen wirklich waren. Was Nationalsozialismus in Deutschland wirklich für Auswirkungen hatte. Ich habe hier mit Menschen gesprochen, die all das überlebt haben und beschreiben konnte, wie hasserfüllt sie verfolgt wurden und bis heute nicht verstanden haben, warum ihnen das angetan wurde. Ich verstehe es auch nicht. Wir waren im Holocaust-Memorial Museum in Washington, wo wir uns abermals intensiv mit der Geschichte auseinander gesetzt haben. Je öfter ich diese Bilder sehe, sei es in Auschwitz oder eben in Museen und Ausstellungen, desto wütender werde ich, dass all diese Verbrechen von Deutschen ausgegangen sind. Es gibt kein vergleichbares Verbrechen dazu, kein einziges, und es haben wir Deutsche begangen. Nicht wir, aber wir Deutsche. Besonders mitgenommen hat mich das Holocaust-Memorial in Miami, das einfach nicht hätte eindrucksvoller sein können. Über eine Stunde haben wir uns damals dort aufgehalten und es auf uns wirken lassen, bis uns endgültig schlecht war. Wir haben nichts gesagt und einfach nur gehofft, dass sich die Bauchschmerzen bald wieder legen. All das nimmt mich sehr mit und zeitgleich habe ich das Gefühl, dass es einen Großteil in Deutschland überhaupt nicht interessiert, was mich wiederum noch wütender macht. Die Leute haben einfach „keine Lust mehr auf das Thema“. Ich glaube nicht, das jemand die Wahl hat, sich „dem Thema“ zu entziehen, vor allem nachdem wir 12 Millionen Todesopfern im zweiten Weltkrieg auch nie die Wahl gelassen haben.
Aktion Sühnezeichen Friedensdienste
Obwohl ich natürlich überwiegend bei DOROT gearbeitet habe, stand ASF selber im darüber. Bevor ich den Leuten erzählt habe, wo ich arbeite, habe ich erzählt, mit wem ich hier bin. ASF hat mich über das ganze Jahr gelenkt und immer wieder auch Denkanstösse gegeben. Von den 12 Monaten Dienst waren wir gut einen Monat auf Seminaren und haben uns weiter gebildet. Der Schwerpunkt dabei lag eigentlich immer darauf, uns zum Nachdenken anzuregen, uns mit sensiblen Themen zu konfrontieren und zu gucken, was wir daraus lernen. Ich erinnere mich daran, wie wir in Hirschluch intensiv über den Alltag von Obdachlosen gesprochen haben, in Philadelphia einen Beitrag über die Struktur von Rassismus und in Washington einen Vortrag über Religion in Amerika gehört haben. All diese Diskussionen waren immer auf Toleranz und Zivilcourage ausgerichtet. Man hat diese Werte sehr stark vertreten und versucht, uns dahingehend zu erziehen. Ein weiteres großes Thema war natürlich die Zeit des Nationalsozialismus und die Folgen, aus denen ASF sich gegründet hat. Seit Tag 1 des Auswahlseminars haben wir über die Schuldfrage gesprochen und unsere Verantwortung, das so etwas nie wieder passieren darf. Das wurde immer wieder thematisiert und in Gesprächen mit Überlebenden oder Besuchen von Gedenkstätten deutlich gemacht. Ich denke, dass das die wichtigste Rolle von ASF und mittlerweile auch von uns Freiwilligen ist. Die Menschen sensibilisieren, auf die Geschichte aufmerksam zu machen und sie auf ihre Verantwortung aufmerksam zu machen. Ich merke selber, wie ich in meinem Leben immer öfter über Antisemitismus stolpere und die Leute darauf anspreche, den Mund aufmache und nicht alles so stehen zu lassen und ich bin mir sicher, dass das auch nach dem Dienst der Fall bleiben wird.
Ausblick
Was passiert als nächstes? Jetzt war ich ein Jahr in New York und komme bald wieder in meine kleine Stadt nach Osnabrück. Vieles wird sich ändern, aber nicht alles. Nach wie vor ziehe ich in Erwägung in irgendeiner Form Politik zu studieren und dann damit etwas anzufangen. Ob es dann ich Richtung Journalismus geht oder doch direkter ins Geschehen kann ich noch nicht sagen, aber gerade nach diesem Jahr fühle ich mich verantwortlich, etwas zu sagen. Ich glaube das funktioniert am Besten in der Politik und da sollte aktuell eine Menge mal gesagt werden. Ich nehme all die Erfahrungen aus New York von diesem Freiwilligendienst mit und komme wohl mit einem verbesserten Wertesystem wieder. Ich freue mich total, all die Dinge die ich gelernt habe, zu Hause anwenden zu können und viel reifer und erwachsener wiederzukommen, als ich gegangen bin. Auf der anderen Seite glaube ich auch eine Menge über Menschen gelernt zu haben und könnte mir vorstellen Psychologie zu studieren. In ein paar Tagen werde ich erfahren wohin es geht, wenn die Zusagen für das Studium endlich kommen. Aber unabhängig davon, wo ich letztendlich lande, dieses Jahr wird für jeden Bereich eine Bereicherung gewesen sein.
Danksagung
Was habe ich nicht alles erlebt in den letzten 18 Monaten. Ich wusste nie wohin mit mir nach der Schule, wollte eigentlich nur mal raus kommen. Jetzt sitze ich seit fast einem Jahr in New York und bin ein ganz anderer Mensch. Ich weiss bis heute nicht, warum man ausgerechnet mir die Chance dazu gegeben hat und werde es auch wohl nie erfahren, aber ich bin unfassbar dankbar dafür. Ich bin dankbar, dass ASF Mir und Anderen die Chance gibt, dieses Erfahrung zu haben, uns so viel beigebracht hat und mich persönlich so geformt hat, dass ich heute ein anderer Mensch bin, als vor 18 Monaten. Ich bin dankbar für meine Paten, die jeden meiner Berichte gelesen haben und mich finanziell und mental bei jedem Schritt unterstützt haben, ohne die all das nicht umsetzbar gewesen wäre. Auch danken möchte ich natürlich den Partnern, die ASF dabei so leidenschaftlich unterstützen und dazu beitragen, dass Aktion Sühnezeichen so eine tolle, gehaltvolle Organisation ist. Mein Jahr wird hier bald enden, den Auftrag werde ich jedoch immer in mir tragen und darüber bin ich sehr glücklich! Danke für eure Unterstützung und dass ihr mich auf meinem Weg begleitet habt!
It´s all part of the experience!
Gefällt mir:
Gefällt mir Wird geladen...